Meine marokkanische Gastfamilie und Eindrücke aus Rabat

Salam ihr Lieben,

seit 5 Tagen wohne ich nun bei meiner Gastfamilie in Salé, der Schwesternstadt von Rabat. Ich wurde sehr herzlich aufgenommen und fühle mich wohl in der neuen Umgebung, was in erster Linie meiner herzlichen Gastmutter und meinem offenen Gastbruder zu verdanken ist. Rhimo ist eine füllige, kleine Dame in ihren besten Jahren, die sich fürsorglich um alle Bewohner der Wohnung kümmert und gerne ihr strahlendes Lächeln zeigt. Sie spricht wie alle Familienmitglieder fließend Französisch, was hier in Salé zwar nicht selten, aber auch keine Selbstverständlichkeit ist (in öffentlichen Schulen lernen die Kinder fast nur auf Arabisch) und achtet darauf, dass es mir an nichts mangelt. Die beiden Ausdrücke, die sie am häufigsten gebraucht, sind „miskina“ und „ma shi muschqila“. Ersteres bedeutet sowohl „Arme“, als auch „Süße“ und wird von ihr oft als Kosename gebraucht, während letzteres schlicht „Kein Problem“ bedeutet; was Rhimos Mentalität ziemlich treffend zusammenfasst: Irgendwie wird schon alles gehen und möglich sein. Allerdings bedauert sie sehr, dass ich nur 6 Wochen bleiben werde. Sie arbeitet halbtags in einem schicken Kosmetikladen in Rabat und kümmert sich ansonsten um den Haushalt. Mein Gastbruder Alā` ist fast so alt wie ich, allerdings 1 ½ Köpfe kleiner. Er wohnt nur noch bis Ende des Monats hier und wird danach in der Türkei studieren. Alā` ist ein hilfsbereiter und herzlicher Mensch, der geduldig und bereitwillig auf meine Fragen eingeht; vor allem die gesellschaftlicher Art. An ihn wende ich mich, um etwa das Verhältnis zwischen Mann und Frau oder zwischen Tradition und Moderne zu verstehen. Er ist der Meinung, dass die junge Generation sich stark von der Elterngeneration unterscheidet und Marokko in seiner Mentalität und seinen Zielen umkrempeln wird. Er ist ein idealistischer Patriot, der seine Bildung- die er hier zunächst in einer Privatschule und bald in der Türkei erfährt- nutzen möchte, um seinem Land später dienen zu können und zu dessen Entwicklung beizutragen. Die herzliche, zugewandte Ausstrahlung hat er seiner Mutter abgeschaut, die er- wie den Vater- sehr verehrt. Als Nesthäkchen herzt er sie gerne und unterstützt Rhimo bei all ihren Bitten, ohne große Widerworte: Am Samstag, mitten in der Vorbereitungszeit für das Opferfest, hatte er Geburtstag, den er zum Großteil damit verbrachte, seine Mutter von einem Souk zum nächsten zu chauffieren und er beschwerte sich ihr gegenüber kein einziges Mal! Mein Gastvater Kassim ist ein hochgewachsener Herr mit einem gutmütigen und zugleich strengen Gesicht. Er ist der Gründer des Frauenzentrums, in dem ich hospitieren werde und arbeitet für den Staat, wo er das Amt des Direktors der „Maisons Jeunes“ dieser Region bekleidet, was ich mal frei als „Soziale Jugendzentren“ übersetze. Mit ihm bin ich noch nicht so oft in Berührung gekommen wie mit Rhimo und Alā`, aber trotz der Autorität eines Familienoberhaupts im ursprünglichen Sinne, scheint er das Herz am rechten Fleck zu haben und ich bin gespannt auf die Zusammenarbeit. Der ältere Sohn meiner Gasteltern- Muhammad- ist bereits Ende zwanzig und verheiratet. Seine Frau ist im achten oder neunten Monat schwanger, mit ein bisschen Glück werde ich also die Geburt des Kindes und das damit einhergehende Geburtstagsfest mitbekommen. Meine Gastfamilie wohnt im Viertel Sidi Moussa, nicht weit entfernt vom Meer und in der Nähe zu Rabat. Nach meinen ersten Eindrücken gehören sie eher zu den wohlhabenderen Familien in Sidi Moussa, gehören generell aber wahrscheinlich zur unteren Mittelschicht Marokkos. Die Wohnung ist nicht allzu groß, aber gemütlich und nur einen Stock von der großen Dachterrasse entfernt, die einen Blick über die anderen Dächer bis zum Meer bietet. Im Wohnzimmer und über dem Fernseher hängen arabische Kalligraphien von Koransuren, wo bei uns Bilder hängen würden und das Wohnzimmer wird- typisch marokkanisch- von einem Diwan-ähnlichen Sofa eingenommen, dass sich an den Wänden entlang zieht. Alā` hat mir bereitwillig sein Zimmer überlassen, das ich mir mit einem (etwas zu gestaubten ;)) Hometrainer teile. Ich bin sehr zufrieden damit, einzig an den bis spät in die Nacht andauernden Straßenlärm muss ich mich noch gewöhnen… An meinem ersten Abend in der Familie, nahm mich Rhimo mit zu ihrer Mutter, die nur einige Straßen weiter in einem kleinen Haus mit Blick aufs Meer wohnt. (Der Sonnenuntergang an diesem Abend war fantastisch, als die rote Sonne wie ein Feuerball langsam ins Wasser sank.) Als wir eintraten, machte ich die Bekanntschaft mit ihrer Mutter und der alten Großmutter, einem wirklich sehr alten Mütterchen, die ihren Platz in der Sofaecke den ganzen Abend nicht verließ. Nicht lange nach unserer Ankunft füllte sich das Haus, Rhimos Schwester und einer der Brüder kamen mit ihrer Familie zu Besuch, sodass neben dem einjährigen Amir noch bald zwei weitere Jungs durch das enge Wohnzimmer hüpften oder sich die Zeit mit ihrem geduldigen Cousin Alā` vertrieben. Am Ende des Abends waren ca. 13 Personen im Wohnzimmer versammelt und gefühlt alle 2 Stunden wurde etwas zu essen auf einem großen Teller aufgetragen, von dem sich bedienen konnte wer wollte. Zwischendurch standen verschiedene Familienmitglieder auf, um in der ruhigen Ecke des Wohnzimmers zu beten. Ich wurde sehr herzlich im Familienkreis aufgenommen und interessiert befragt. Als meine Begeisterung für traditionelle Trommelmusik bekannt wurde, ließ sich einer von Rhimos Brüdern, scheinbar Berufsmusiker, nicht lange bitten und trommelte mir- trotz Nierensteinbeschwerden- virtuos etwas auf einer schön verzierten Trommel mit einem Trommelfell aus Plastik vor. Bei regional bekannten Rhythmen fielen alle klatschend mit ein und ich starrte fasziniert auf die trommelnden Hände, die dem unnachgiebigen Material doch so viele verschiedene Töne entlockten. Es war eine sehr gelassene Stimmung und ich konnte nicht umhin, die Marokkaner für ihre großen Familien, die sich oft ganz selbstverständlich bei den Ältesten versammeln, zu beneiden. Hier ist zwar Zwist genauso an der Tagesordnung wie überall anders auch, aber der Zusammenhalt zwischen den Generationen scheint mir doch insgesamt stärker und durch die höhere Kinderzahl ist dann auch schneller mehr Leben im Haus.

Die letzten Tage vor dem Opferfest habe ich genutzt, um Rabat ein wenig zu erkunden. Mit den anderen deutschen Freiwilligen besuchte ich den Königspalast, der sich auf einem großen, von einer hohen und alten Lehmmauer begrenzten Gelände befindet, wo man nur mit dem Reisepass Zutritt erlangen kann. Äußerst spektakulär ist es nicht, da man sich dem Palast nur auf wenige Schritte nähern darf. Das mit Ornamenten verzierte und berühmte Eingangstor wird von der Königlichen Leibgarde, deren Uniform ihr auf meiner Fotoseite sehen könnt, und Soldaten bewacht. Dahinter erhebt sich verschachtelt das Palastgebäude, mit blassgelbgestrichenen Mauern und grünen Dächern, der Farbe des Islams. Diese findet sich auch in der Moschee direkt gegenüber wieder, die leider wie alle Moscheen für Nicht- Muslime unzugänglich ist. Auf dem Rückweg kamen wir an Sportplätzen und einer sorgfältig angelegten Häuseransammlung vorbei, wahrscheinlich für die Bediensteten des Königs; zumindest befand sich direkt daneben die nationale Hôtelerieschule… Abends gingen wir mit den Zuständigen unserer Organisation traditionell marokkanisch essen. Als wir eintraten, erwartete uns am Ende des Ganges ein lächelnder junger Mann, der jedem Gast aus einer großen, bauchigen Silberkanne Wasser in die offenen Hände schüttete und danach ein Tuch zum Trocknen reichte. Nachdem wir die engen Stufen erklommen hatten, fanden wir uns im aufwendig dekorierten Speisesaal wieder, der aus großen, mit Mosaik verzierten Tischen bestand, um die sich Diwane gruppierten, sodass jeder Tisch einer Großfamilie- oder eben einer Freiwilligengruppe- Platz bot. Die Speisekarte war durch unsere späte Ankunft leider stark eingeschränkt, aber die Tajines schmeckten trotzdem ziemlich gut. Beim Verlassen des Lokals schüttete uns der Junge am Ausgang einige Tropen Jasminwasser aus einem schlanken, silbernen Gefäß in die Hände, die danach wunderbar dufteten!

Am Samstag fuhr ich erneut nach Rabat, um mich mit Youssef zu treffen. Er ist ein junger Marokkaner, der nächsten Monat sein Studium in Deutschland beginnen wird und schon in Deutschland eine Art Tandempartner für mich war. Wir trafen uns unterhalb des Wahrzeichen der Hauptstadt, dem Hassanturm. Er steht auf einem Hügel Rabats und inmitten eines großen Platzes mit unterschiedlich hohen Säulen. An dieser Stelle sollte vor langer Zeit die größte Moschee der arabischen Welt erbaut werden, doch der Stifter, König Hassan I., starb vor der Fertigstellung, die von seinem Sohn nicht weiterverfolgt wurde. Einzig der halbhohe Turm, der heute als Minarett genutzt wird und der große Säulenplatz sind erhalten geblieben und lassen erahnen, wie riesig und prächtig dieses muslimische Gotteshaus hätte werden können. Heutzutage steht am anderen Ende des Platzes trotzdem eine Moschee, wenn auch nicht allzu groß. Hier entschuldigte sich Youssef kurz, um das Gebet zu verrichten und ich wartete im Schatten der Säulen auf ihn. Danach betraten wir das Mausoleum von König Muhammad dem V., das unmittelbar daneben liegt. Es ist ein fast quadratischer Bau mit Eingängen an allen vier Seiten, jeder von der Leibgarde des Königs bewacht. Im Innern findet man sich auf einer Galerie wieder, die Seiten sind mit bunten Kacheln, Kalligraphien und Ornamenten aus Blattgold verziert und jede Seite wird oberhalb des Eingangs von einer Koransure geschmückt. In der Mitte befindet sich einige Meter tiefer der große Marmorsarg von Muhammad dem V., an dessen Seiten schwer entzifferbare arabische Schriftzeichen eingelassen sind. Neben ihm sind auch König Hassan der I. und II. beigesetzt, allerdings etwas kleiner in zwei Ecken auf dieser unteren, mit roten Teppichen ausgelegten Ebene. Es herrschte eine sehr andächtige, feierliche Atmosphäre an diesem Ort. Anschließend gingen wir durch die Stadt bis zum Hafen und zur Oudaya hinauf, dem ältesten Teil Rabats. Die Oudaya ist eine alte Festungsstadt, die der Hauptstadt ihren Namen gibt (ar- ribāt= Festung) und heute sehr touristisch geprägt ist. Man betritt das Innere durch eines der drei Tore, die in die alten Lehmmauern eingelassen wurden. Auf der unteren Ebene gibt es einen kleinen, schön angelegten, blühenden Garten mit alten, prächtig verzierten Türen an den Seiten. Die weißgetünchten Gassen führen von dort aus immer höher hinauf und sind bis etwas über Kopfhöhe hellblau angestrichen, wegen der Nähe zum Meer, meinte Youssef. Die Gässchen waren sehr gepflegt und immer wieder erspähte ich eine alte, genietete Tür mit dem typisch maurischen Bogen, vor der nicht selten große, bauchige Blumentöpfe mit allerlei Pflanzen darin standen. Youssef führte mich durch das Gassengewirr zu dem Café der Stadt, was sehr verwinkelt direkt oberhalb der Mauer liegt und einen wunderbaren Blick aufs Meer und den Strand bietet. An kleinen blauen Tischen konnte man sich ausschließlich marokkanischen Minztee servieren lassen, der tatsächlich auch besonders gut schmeckte. Schließlich stiegen wir bis zur Aussichtsplattform hinauf, wo eine angenehme Brise herrschte und sich die orangerote Sonne bereits anschickte, unterzugehen. Es war wirklich sehr idyllisch und erinnerte mich irgendwie an diese pittoresken griechischen Dörfer, mit denen in Urlaubsbroschüren geworben wird. Am nächsten Tag schlenderte ich mit einer der Freiwilligen ausgiebig durch die alte Medina von Rabat, die- ihr ahnt es schon- ebenfalls von einer dicken Lehmmauer umschlossen ist. Das enge Gassengewirr erinnerte mich sehr an „meinen“ marché Ouando in Porto- Novo, allerdings war es hier sauberer und die Händler verzichteten darauf, ihre Waren auf dem Kopf durch die Menge zu tragen, sondern blieben lieber bei ihren Ständen. Es war sehr voll und man musste immer wieder achtgeben, den röhrenden Motorrollern Platz zu machen, ohne in die von der Decke herunterhängenden Waren zu stolpern. Der Souk ist so groß, dass er verschiedene Abschnitte hat; einen für Lebensmittel, einen für Kleidung, einen für Teppiche, Lederwaren und andere Dinge, die bei Touristen gut ankommen, usw. Besonders faszinierten mich die Gewürzberge mit ihren bunten, kräftigen Farben und die Olivenstände, wo die Ware aus 10- Kilo- Gefäßen abgefüllt wird. Bisher habe ich mich noch nicht dazu hinreißen lassen, den verlockenden Gerüchen und Anblicken nachzugeben, aber das Handeln und Feilschen wird mich wohl dann doch irgendwann in naher Zukunft überkommen.

In den nächsten Tagen werde ich euch vom Opferfest und meinen ersten Eindrücken in der Arbeitsstelle berichten.

Bis dahin liebe Grüße

Eure Pauline

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